Die Atemmeditation

In diesem Abschnitt geht es um die Atemmeditation oder besser gesagt um die „Vergegenwärtigung des Atmens“ oder „Achtsamkeit auf die Ein- und Ausatmung“ (Pali: anapana sati). Diese Übung wird seit 2500 Jahren im Buddhismus gelehrt. Aber sie ist genaugenommen sogar deutlich älter. Sie wurde allerdings vorher teils in anderer, einfacherer Form gelehrt, teils wurde sie auch zu anderen Zwecken eingesetzt. Aber eins kann man auch nach der mehrer tausen Jahre währende Geschichte dieser Meditation sicher sagen: Bis zum heutigen Tage ist es eine enorm wichtige, um nicht zu sagen unersetzliche Methode für Menschen, welche Geistesklarheit entwickeln möchten.

Das Sammlungsobjekt in der Atemmeditation

Jede Meditation hat ein Sammlungsobjekt, d.h. etwas worauf man seine Aufmerksamkeit richtet. In der Atemmeditation ist das Sammlungsobjekt die Erfahrung des Atmens. Der Übende richtet seine Aufmerksamkeit auf die verschiedenen Wahrnehmungen und Empfindungen welche beim Atmen auftreten. Daei versuchen wir den Fluss des Atmens zu beobachten ohne ihn zu beeinflussen.

Die Ablenkungen

Dabei bemerkt man schnell die Neigung des Geistes, von einer Sache zur anderen zu springen. Lassen Sie sich davon nicht entmutigen – mit einiger Übung wird Ihnen diese Methode ermöglichen, ganz in den gegenwärtigen Augenblick mit seiner Fülle des Erlebens einzutauchen. Meditation ist nicht nur das vollständige Ausgerichtet sein auf das Meditationsobjekt (hier der Atem). Da es in der Regel eben alles andere als einfach ist seine Aufmerksamkeit konstant auf ein Wahrnehmungsobjekt gerichtet zu lassen spricht man besser davon dass die Meditation das Üben der Ausrichtung der Aufmerksamkeit auf ein Sammlungsobjekt ist.

Das kontinuierliche Üben des Zurückkommens zum Atem

Man versucht also dem Atem zu folgen und erreicht die Aufmerksamkeit auf den Atem. Dann kommen wieder Ablenkungen auf. Man träumt, zweifelt am Sinn der Meditation, driftet von Thema zu Thema, ist besorgt über etwas was am Tag passiert ist oder etwas was uns in der letzten Zeit verärgert hat springt in unser Gedächtnis, samt dem Ärger der an der Erinnerung hängt. Und prompt fangen wir an die verschiedensten Gedanken und Geschichten um diesen Auslöser herum in unserem Kopf aufzubauen. Wir sind also nicht mehr im Moment sondern in den Sorgen und Befürchtungen, den Sehnsüchten und dem Ärger der Vergangenheit, oder denjenigen die wir aktuell in unserer Fantasie produzieren. Unser Geist spielt sozusagen verrückt. Denn die meisten dieser Gedanken sind weder sinnvoll noch konstruktiv.

Das Aussteigen aus den Gedankenketten üben

Wenn wir wahrnehmen dass wir abgelenkt und nicht mehr wirklich im Moment sind, dann können wir zurück in den Moment kehren. Und genau dafür haben wir den Atem als Anker. Wir versuchen zur Erfahrung des Atmens zurückzukehren und die Ablenkungen loszulassen. Und dies versuchen wir auf eine bestimmte Art und Weise. Weil wir wissen, dass diese unproduktive Art ein völlig normales Merkmal des Geistes ist, gehen wir entsprechend liebevoll und geduldig mit uns um. Wir versuchen freundlich, geduldig aber auch sanft und beharrlich zum Atem zurückzukehren.

Die Aufmerksamkeit mehr fokussieren lernen

Das Ziel der Atemmeditation ist es, seine Aufmerksamkeit möglichst vollständig auf den Atem zu sammeln. D.h. wir beobachten den Atem oder einzelne Aspekte des Atems (den Luftstrom, die Bewegungen, die Empfindungen). Bei diesem Prozess nehmen schrittweise geistige Ablenkungen und Störungen ab und machen einem Zustand der zufriedenen Sammlung Platz.
Die Vergegenwärtigung des Atems hilft Achtsamkeit (oder Gewahrsein) zu entwickeln, die Fähigkeit zu aufmerksamen, wachem Wahrnehmen und klarer Bewusstheit, die eine Schlüsselrolle im buddhistischen Übungssystem einnimmt. Sie ist auch eine hervorragende Methode, um die höheren meditativen Zustände zu kultivieren, die man „Dhyana“ nennt. Schließlich ist die Vergegenwärtigung des Atems auch ein gutes Gegenmittel zu Rastlosigkeit, Nervosität und Zerstreutheit und hilft Ihnen zu entspannen: Die Sammlung auf den Atem wirkt sich positiv auf die gesamte körperliche und geistige Verfassung aus.

Aufbau der Atemmeditation

Um den Konzentrationsprozess auf den Atem zu unterstützen, ist die Atemmeditation in mehrere Abschnitte aufgeteilt. In den ersten beiden Abschnitten wird dabei zu verschiedenen Zeitpunkten des Ein- und Ausatmens gezählt. später werden unterschiedliche Aspekte des Ein- und Ausatmens beobachtet.
Die Atemmeditation besteht aus 4 Phasen, jeweils 5-10 Minuten in Abhängigkeit von der gewünschten Gesamtdauer der Meditation

  • Phase 1: Zählen nach dem Ausatmen
  • Phase 2: Zählen kurz vor dem Einatmen
  • Phase 3: Beobachten des gesamten Atems
  • Phase 4: Fokussieren der Wahrnehmung auf den ersten Punkt wo der Atem beim Einatmen zu spüren ist.

Wenn wir in der Atemmeditation bemerken, dass wir nicht mehr genau wissen, bei welcher Zahl wir waren oder bemerkt haben, dass wir schon weiter als Zehn waren, heißt dass, dass wir dann geduldig und freundlich unsere Aufmerksamkeit zurück auf den Atem bringen sollten
Wenn es uns in der Phase drei vielleicht zu schwer fällt uns zu konzentrieren, können wir zwischendurch wieder das Zählen zu Hilfe nehmen. Wenn wir dann wieder gesammelter sind, lassen wir das Zählen wieder. Die Atemmeditation bildet sozusagen eine von vielen Synthese der Erfahrungen dar, welche Meditierende vor Jahrhunderten und Jahrtausenden aus umfassender Erfahrung heraus als besonders sinnvoll erkannt und in die buddhistische Tradition integriert haben. Die Atemmeditation ist keine starre Form, sondern eine Struktur, welche einem eine Hilfe geben will, mittels des Atems gesammelter zu werden und höhere Bewusstseinszustände zu erreichen. Diese Hilfe sollte aber nicht als Dogma verstanden werden. Jeder sollte auch mal mit der Form experimentieren, damit er den Sinn der Form selbst erfahren kann.

Anmerkungen zu den Phasen der Atemmeditation

Phase 1:

Man sammelt seine Aufmerksamkeit beim Atem und spürt, wie er durch den Körper streicht, sich verschiedenste Körperteile im Rhythmus des Atems bewegen. Am Ende des Ausatmens zählt man die Atemzüge innerlich von Eins bis Zehn mit. Beim elften Atemzug fängt man wieder bei Eins an. Doch warum zählt man nun mit und betrachtet einfach nur den Atem? Probiere es aus! Du wirst feststellen, dass es deutlich schwerer ist, ohne Zählhilfe beim Atem zu bleiben. Was passiert durch das Zählen?
Unser Geist ist sehr unruhig und will beschäftigt sein. Offenbar reicht seine Aufmerksamkeit normalerweise nicht, um sich auf den Atem zu konzentrieren. Scheinbar ist der Atem am Anfang einfach zu langweilig. Wenn wir zählen, werden wir mit jedem Atemzug daran erinnert, unsere Aufmerksamkeit beim Atem zu halten. Damit wir nicht in eine Art automatisiertes, unbewusstes Zählen verfallen, fängt man alle 10 Atemzüge an von vorne zu zählen. Wenn man sich beim Zählen einer „Zwölf“ erwischt, kann man sich denken, was passiert ist…
Es klingt etwas merkwürdig, aber scheinbar kann ein unruhiger Geist, der sich noch nicht einmal auf eine Sache konzentrieren kann, leichter beim Thema zu bleiben, wenn er noch eine zweite Sache im Kopf hat. Zumindest dann, wenn dieses zweite Thema leicht zum ersten Thema (Atem) zurückführt. Merke: Du musst herausfinden welches „Beschäftigungsniveau“ für deinen Geist gerade angemessen ist. Siehe weiter unten, Kapitel „Subtiler werden“.

Phase 2:

In der zweiten Phase zählt man zu Beginn eines Atemzuges, während man in der ersten Phase am Ende des Ausatmens gezählt hat. Auch wieder komisch: Eigentlich zählt man in derselben Lücke zwischen Ein- und Ausatmen. Doch spürt selbst: es fühlt sich anders an. Unsere Einstellung zum Zählen verändert unsere Wahrnehmung .

Phase 3:

In dieser Phase wird nicht mehr gezählt. Zu diesem Zeitpunkt können wir durch die Übung der ersten zwei Phasen unsere geistige Sammlung besser stabil halten. Wir benötigen das Hilfsmittel des Zählens möglicherweise nicht mehr so sehr. Wir hören mit dem Zählen auf und widmen uns ganz der Erfahrung des Atmens, spüren ihn im Körper, die innere Weite, spüren die Empfindungen, welche mit dem Atem verbunden sind. Wir können unser Wahrnehmung für den Atem auf verschiedene Körperteile / Organe richten oder auch gezielt einen möglichst globalen Eindruck des Atems aufbauen. Zu spüren wie der Atem ein weites Pulsieren des gesamten Körpers und des Geistes bewirkt, wie Bewusstsein und das Pulsieren verschmelzen.

Phase 4:

Während man in der dritten Phase eher eine „weite“ Aufmerksamkeit geübt hat, fokussiert man in dieser Phase seine Aufmerksamkeit auf den Punkt, wo man die Luft beim Eintritt in die Nase zuerst spürt. Viele werden erleben, wie ihre Sammlung in dieser Phase recht schnell zusammenbrechen kann. Während in der dritten Phase der Geist noch seine Aufmerksamkeit auf verschiedenste Aspekte richten durfte und erst langsam zu einer „weiten“ Sammlung kam, ist das konstante Fokussieren auf einen speziellen Punkt der Nase offenbar zu Anfang energieaufwendiger und ermüdender. Doch in dieser Phase kann wunderbares geschehen: Während wir uns gerade noch richtig bemühen mussten, fällt uns plötzlich das Sammeln auf den Atempunkt sehr leicht. Der Augenblick fühlt sich stiller und bedeutungsvoller an oder wird von einem Gefühl der Weite begleitet. Auftretende gedankliche Störungen, die uns vorher noch immer wieder aus der Meditation herausgeholt haben, sind einfach nicht mehr da oder es ist einfach nicht mehr genug Interesse dar, auftretenden störenden Gedanken Raum zu geben. Ein Gefühl der Freude und Zufriedenheit kann entstehen. Natürlich kann dies in jeder Phase entstehen. Aber scheinbar macht der Kontrast zwischen der Energie, welche die anfängliche Fokussierung auf die erste Kontaktstelle kostet und der plötzlichen Leichtigkeit, Weite und Freudigkeit der Erfahrung, wenn sich die Erfahrung von Sammlung vertieft, es uns besonders einfach diesen Moment zu erkennen, Wertschätzen und zu bejahen. Und dies macht es natürlich leichter, diese Erfahrung zu vertiefen.

Eine Audiodatei mit einer angeleiteten Atemmeditation finden Sie hier.